Queer History Month: Wie geht es queeren Menschen in Deutschland?
Die Universität Witten/Herdecke untersucht die psychische Gesundheit von LGBTQ+-Personen.
Laut aktuellen Schätzungen sind in Deutschland mehr als 9 Millionen Menschen lesbisch, schwul, bisexuell, trans* und/oder anderweitig queer – das entspricht etwa 11 % der Bevölkerung. Vergleichsweise gibt es überraschend wenig Studien zur psychischen Gesundheit von queeren Menschen, insbesondere im deutschsprachigen Raum.
Deswegen hat die Universität Witten/Herdecke (UW/H) unter der Leitung von Jan Schürmann-Vengels, Juniorprofessor für spezifische Tätigkeitsfelder der Klinischen Psychologie, 2022 eine Studie initiiert, die das Wohlbefinden und die psychische Belastung von rund 1.700 queeren Personen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz erfasst. Die Angaben der queeren Personen wurden mit einer repräsentativen Stichprobe aus der Allgemeinbevölkerung verglichen. Es zeigte sich, dass das Wohlbefinden von queeren Menschen nur leicht niedriger, die psychische Belastung allerdings deutlich höher ist als in der Allgemeinbevölkerung. Queere Menschen im deutschsprachigen Raum sind demnach häufiger von Depressionen, Ängsten und Stress im Alltag betroffen.
Unterschiede in der psychischen Gesundheit verschiedener LGBTQ+-Communities
Ein tieferer Blick in die Daten lässt Unterschiede zwischen den verschiedenen LGBTQ+-Communities erkennen: Lesbische und schwule Personen sind demnach ähnlich zufrieden wie die Allgemeinbevölkerung, weisen im Vergleich aber eine höhere psychische Belastung im Alltag auf, die Werte waren etwa 1,6 Mal höher. Die über 300 trans* und nicht-binären Personen, die an der Studie teilnahmen, hatten sogar noch höhere psychische Belastungswerte: Sie waren 2-fach bis 2,5-fach höher als in der Allgemeinbevölkerung.
Die ersten Erkenntnisse der Studie werden in den kommenden Wochen in einer Fachzeitschrift veröffentlicht.
Die Bewertung der psychischen Gesundheit hat sich mit der Zeit verändert
Früher wurden viele Formen sexueller und geschlechtlicher Vielfalt kriminalisiert und pathologisiert. Erst 1994 wurde der Paragraph 175 in Deutschland abgeschafft, der sexuelle Handlungen zwischen Männern bestrafte. International galten Homosexualität und Bisexualität lange Zeit als psychische Störung. Erst 2020 wurden in Deutschland Konversionstherapien – also therapeutische Versuche, die sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität in Richtung Norm zu verändern – bei Minderjährigen verboten. Bis vor Kurzem kam eine offizielle Diagnose zum Einsatz, die trans* Personen generell als krankhaft bewertet hat.
Trotz vieler historischer Verbesserungen erleben queere Menschen noch immer negative Erfahrungen (z. B. Diskriminierung, Angst vor Ablehnung oder strukturelle Hürden).
Heute geht die Forschung davon aus, dass diese zusätzlichen Stressfaktoren zu einer höheren psychischen Belastung beitragen.
Weitere Studien sind notwendig
Um die Bedürfnisse von trans* und nicht-binären Menschen sichtbar zu machen, muss es mehr Untersuchungen zu den Einflussfaktoren auf ihre psychische Gesundheit geben, sagt Juniorprofessor Jan Schürmann-Vengels. Daher starten er und sein Team in diesem Jahr die SocNet-TNB Studie (Soziale Netzwerkdiagnostik mit trans* und nicht-binären Personen). Die Studie hat das Ziel, die sozialen Beziehungen der Teilnehmer:innen durch einen systemisch-orientierten Ansatz differenzierter als üblich zu erfassen.
„Dafür verwenden wir ein grafisches und leicht verständliches Webtool, das die Teilnehmer:innen in Interviews mit geschulten Mitarbeitenden gemeinsam nutzen“, erklärt Schürmann-Vengels. So werden individuelle Erfahrungswerte von trans* und nicht-binären Personen abgebildet: Wie erleben sie belastende und verstrickte Beziehungen? Welche Personen (z. B. Freund:innen oder Angehörige) sind besonders unterstützend und stärken ihnen den Rücken?
Die Studie findet in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie III der UW/H und der Universität Kassel statt. Aus den Ergebnissen soll abgeleitet werden, welche Beziehungsmuster besonders wichtig für die psychische Gesundheit von queeren Menschen sind. Außerdem wollen die Forscher:innen Empfehlungen für Beratungs- und Therapieangebote herausarbeiten.
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