Integrative Typ-1-Diabetologie
U-Health: Emotionen und Stress regulieren bei Typ 1 Diabetes - eine Pilotstudie
Projektübersicht
Typ-1-Diabetes (T1D) scheint in Europa auf dem Vormarsch zu sein, und mit ihm die Belastung durch eine Reihe von Ergebnissen, darunter Gesundheitszustand, Produktivität, Aktivität und Nutzung von Gesundheitsressourcen (You & Henneberg 2016). Die Komplexität des Diabetes selbst, Blutzuckerschwankungen und die Angst vor Langzeitkomplikationen tragen zu einer hohen diabetesspezifischen Belastung bei (Bollepalli et al. 2012). Etwa 373.000 Erwachsene und 32.000 Kinder mit T1D (Fisher et al. 2016) leben in Deutschland, die Rate neuer Fälle von T1D steigt derzeit jährlich um 3,5 % (http://T1dtoolkit.org).
Nach internationalen Übersichten wird offensichtlich, dass trotz moderner Technologien wie Insulinpumpen und Systemen zur kontinuierlichen Blutzuckerüberwachung die glykämische Kontrolle für die meisten Menschen mit Typ-1-Diabetes suboptimal bleibt (Prigge et al. 2022). Durch die in Deutschland implementierten Disease Managementprogramme konnte erreicht werden, dass inzwischen ca. 50 % der Betroffenen den vereinbarten HBA1c-Wert erreichen. Aber nach wie vor sind Menschen mit T1D einem erhöhten Risiko ausgesetzt, psychologische und neurologische Langzeitfolgen wie Depressionen und kognitiven Verfall oder makrovaskuläre und mikrovaskuläre Komorbiditäten zu entwickeln (Buchberger et al. 2016). 25,5 % aller T1D-Patienten in Deutschland leiden bereits an einem Doppeldiabetes (Merger et al. 2016).
Es stellt sich die Frage, welche Ressourcen Menschen mit einer derart komplexen Erkrankung wie T1D entwickeln und welche Unterstützung sie dabei nutzen können. Welche integrativ-medizinischen Zugänge können für sie hilfreich sein?
Weitere Informationen
- Verantwortlich: Gerhard Kienle Lehrstuhl für Medizintheorie, Integrative und Anthroposophische Medizin
- Förderung: Die Studie wird gefördert von der Chaja-Stiftung.
Hypothesen
Betroffene haben immer wieder die bisherigen Behandlungskonzepte aus ihrer Perspektive heraus erweitert (Insulindosisanpassung, Sport, Fasten, Closed Loop). Nun haben sie entdeckt, dass eine eingeschränkte emotionale Regulationskompetenz ein angemessenes Diabetesmanagement behindern kann. Dabei kann es sich individuell um sehr verschiedene Aspekte handeln – von einer fehlenden Stressregulationsfähigkeit über auto-aggressive Verhaltensmuster bis hin zu Depressionen oder traumatische Belastungen. Es mag hilfreich sein, die eigenen Prozesse zu verstehen und angemessene Regulationskompetenzen zu erlernen. Gut evaluierte Programme zur Förderung der emotionalen Kompetenz, wie das Zürcher Ressourcenmodell und die Schulungen im Bereich des Somatic Experiencings und andere, helfen dabei. Wir wollen dies nun untersuchen, um zu prüfen, ob sie langfristig in die Versorgung von Menschen mit T1D integriert werden können.
Intervention
Der neu entwickelte Jahreskurs soll in die gemeinsame Erforschung von Möglichkeiten einsteigen, nicht nur den Blutzucker regulieren zu können, sondern auch Selbsthilfe- Techniken zur Regulation von emotionalen und Stressbelastungen zu entwickeln. Wir nutzen hierfür moderne Erkenntnisse und Werkzeuge aus der Psycho-Neuro-Immunologie der aktuellen Stressforschung, dem Zürcher Ressourcenmodell und dem Somatic Experiencing nach Peter Levine und der Introspektionsforschung. Begleitet und vertieft werden alle Schritte durch Achtsamkeitsübungen und Leistungsdruckfreien Wahrnehmungs- und Bewegungsspielen im Kontext von Musik und Bewegung.
Fragestellung
Trifft das Programm auf das Interesse der Betroffenen? Nehmen ausreichend Betroffene an dem Programm teil? Wie nehmen sie die Module wahr? Kann emotionale Regulation durch Menschen mit T1D erlernt und in den Alltag integriert werden? Könnte diese Kompetenz dazu beitragen das Wohlbefinden zu steigern und die Risikofaktoren für einen zusätzlichen T2D sowie für Depressionen und weitere Folgeerkrankungen zu senken?
Ethik: Ein positives Votum wurde durch die Ethikkommission der Uni Witten/Herdecke erteilt.
Fasten bei Typ 1 Diabetes
Fasten, definiert als der freiwillige Verzicht auf feste Nahrung über einen bestimmten Zeitraum - wird in zahlreichen Religionen seit Jahrtausenden praktiziert und ist aus der modernen Naturheilkunde als eine wichtige Intervention bekannt, die sich wohltuend auf verschiedene Beschweren auswirken kann.
Das Buchinger Fasten ist eine leitlinienbasierte multimodale Intervention, und umfasst neben der nur auf Flüssigkeiten (Brühe, Wasser, Tee) basierenden Ernährung auch Bewegung, ressourcenorientiertes Training und Achtsamkeit.
Für Menschen mit Typ 1 Diabetes war die Durchführung von Fasteninterventionen bislang verboten. Wir haben die Machbarkeit, die positiven Auswirkungen als auch fastenbedingte Nebenwirkungen untersucht und festgestellt: Fasten für Menschen mit T1DM ist möglich – unter Berücksichtigung der gegebenen Risikofaktoren.
Außerdem konnten wir verschiedene Unterstudien realisieren. Wir konnten überprüfen, welche Auswirkungen das Fasten auf den Säure-Basenhaushalt der Studienteilnehmer hat. Auch die Auswirkungen des Fastens auf die Kognition haben wir in einer Pilotstudie untersucht.
Die Verleihung des Holzschuhpreises der Hufeland-Gesellschaft im Jahr 2021 unterstreicht die Bedeutung dieser Arbeit und die Notwendigkeit der Fortsetzung dieser Arbeit.
Weitere Studien sind in Vorbereitung, kontaktieren Sie uns gerne!
Der Zimtapfel – erste Speise nach 7 Tagen ohne feste Nahrung (Foto: Marion Christ)

Die feierliche Zeremonie des Fastenbrechens nach 7 Tagen (Foto: Marion Christ)

Der leidige Fingerpieks - für die Studie waren blutige Glucose- und Ketonmessungen nötig (Foto: Marion Christ)

Für die Messung des Säure-Basenhaushaltes: Sammlung und Abfüllung des 24-Stunden-Urins (Foto: Marion Christ)

Publikationen zum Fasten bei T1 DM
- Berger B, Jenetzky E, Köblös D, Stange R, Baumann A, Simstich J, Michalsen A, Schmelzer KM, Martin DD. Seven-day fasting as a multimodal complex intervention for adults with type 1 diabetes: Feasibility, benefit and safety in a controlled pilot study. Nutrition. 2021 Jan 22;86:111169.
- Bettina Berger, Rainer Stange, Andrea Baumann, Diana Köblös, Daniela Liebscher, Martina Bley, David Martin: Fasten für Menschen mit Typ-1-Diabetes (FaMeD1): Pilotstudie in Hinblick auf Machbarkeit und diabetesbezogene Lebensqualität - ein Studienprotokoll. Ernährung und Medizin. 2019;6(34(02):74-81).
- Berger B, Stange R, Liebscher D, Michalsen A, Büssing A, Schmelzer K, ....Martin D: Fastenintervention nach Buchinger für Menschen mit Typ-1 Diabetes mellitus (T1DM) in Hinblick auf Sicherheit und Machbarkeit. Diabetologie und Stoffwechsel. 2019;14(S 01):EP 46.
Kooperationspartner:innen der Fastenstudie
Chefarzt am Immanuel Krankenhaus Berlin, Inhaber der Stiftungsprofessur für klinische Naturheilkunde am Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité Universitätsmedizin Berlin
Leitung der Außenstelle DONALD Studie des Instituts für Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften (IEL) der Universität Bonn mit den Forschungsschwerpunkten: Nebenniere, Adrenarche, Steroidhormone und Ernährung, Säure-Basen-Stoffwechsel, Ernährungsrelevante Biomarker
Kinder und Jugendliche mit Typ 1 Diabetes
Ca. 32.000 Kinder in Deutschland leben mit der Diagnose Typ 1 Diabetes. Der Trend ist steigend – insbesondere unter der Corona-Pandemie stieg der Anteil der Kinder mit neudiagnostiziertem T1DM, diabetischen Ketoazidosen bei Erstdiagnose und schlechten Blutzuckereinstellungen nach der Diagnose an. Kinder müssen lernen, bei all ihren Aktionen, beim Toben, Spielen und Essen die Auswirkungen auf den Blutzucker zu bedenken. Durch die App-und Sensor-basierte kontinuierliche Glukose- Überwachung ist es heute möglich, dass diesen Job auch die Eltern übernehmen. Dennoch geht es darum, dass die Kinder neben der Blutzuckerregulation eine umfassende Lebensqualität entwickeln können. Um das überprüfen zu können, haben wir eine eigene Selbstwirksamkeitsskala für Kinder und Jugendliche entwickelt und validiert. Wir konnten ein ganzheitliches Schulungsprogramm für Kinder und Jugendliche mit Typ 1 Diabetes abbilden, welches die Förderung der emotionalen und sozialen Kompetenz einbezieht.
Kinder und Jugendliche mit Typ 1 Diabetes müssen sich lebenslänglich Insulin geben – mit einer Spritze oder eine Insulinpumpe (Foto: Dörte Hilgard)

Publikationen zu T1 DM bei Kindern und Jugendlichen
- Sethe D, Büssing A, Hilgard D, Berger B. Validierung der deutschen Version der Pediatric Self-Efficacy for Diabetes-Type-1 Scale. PPmP-Psychotherapie Psychosomatik Medizinische Psychologie. 2020;70(8):349-57.
- Dominik Sethe, Dörte Hilgard, Arndt Büssing, Bettina Berger: Validierung der deutschen Version der Pediatric Self Efficacy for Diabetes Typ 1 Scale, Psychotherapie, Psychosomatik, medizinische Psychologie, Thieme Verlag Stuttgart, Februar 2019.
- Bettina Berger, Dominik Sethe, Dörte Hilgard, David Martin, Peter Heusser: Design of a Self-Management Program for Children Aged 6-12 Years with Type 1 Diabetes Mellitus at the Community Hospital Herdecke, Germany. Complementary Medicine Research 08/2017; 24(4)., DOI:10.1159/000479532.
- Sethe D, Hilgard D, Ostermann O, Berger B, Witten / Herdecke: PP-06 Retrospektive Kosten- Wirksamkeits-Analyse einer integrativen Diabetesschulung für Kinder und Jugendliche mit Typ-1- Diabetes. Japed 2018, Weimar; 11/2018, DOI:10.1007/s00112.
- Sethe D, Hilgard D, Büssing A, Berger B: Special characteristics of the participants in integrated training for children with type 1 diabetes mellitus (T1DM) aged between 12 and 17 years compared to traditional training. Abstracts for the 43rd Annual Meeting of the International Society for Pediatric and Adolescent Diabetes (ISPAD), Innsbruck; 10/2017.
- Dominik Sethe, Dörte Hilgard, Arndt Büssing, Bettina Berger: Validierung der deutschen Version der Pediatric Self Efficacy for Diabetes-type-1 Scale (PSEDT-1). Gemeinsame Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinderendokrinologie und -diabetologie e.V: (DGKED) und der Arbeitsgemeinschaft Pädiatrischer Diabetologen e.V. (AGPD), Osnabrück; 11/2016, DOI:10.1007/s00112-016-0166-z.
- Sethe D, Büssing A, Berger B. llustration of innovative, integrated diabetes training curricula for children and adolescents with type 1 diabetes mellitus (T1DM). 43rd Annual Meeting of the International Society for Pediatric and Adolescent Diabetes (ISPAD); 2017 10/2017; Innsbruck.
- Berger B, Sethe D, Hilgard D, Heusser P. Is an anthroposophic curriculum for children with Type 1 Diabetes mellitus (T1DM) different from usual care? World Congress of Integrative Medicine and Health; 2017 05/2017; Berlin: BMC Complementary and Alternative Medicine.
Introspektion and First Person Perspective
Trotz der immer weiteren Verbesserung der technischen Möglichkeiten im Diabetesmanagement sind die Risiken der Folgeerkrankungen und die Kosten der Diabeteserkrankung im Alter hoch. Wir gestalten Forschung aus der Perspektive der Betroffenen in Zusammenarbeit mit zahlreichen etablierten Forschungsgruppen und anderen Betroffenen von Typ 1 Diabetes. Wir teilen und diskutieren unsere Forschungsergebnisse im Institut für Erste-Person-Forschung der Universität Witten/Herdecke. Wir arbeiten an den Zusammenhängen zwischen Stress und Diabetes-Selbstmanagement und entwickeln ein Programm zur emotionalen Regulationskompetenz (U-Health-Long Version). Wir erkunden die Bedeutung subjektiver Krankheitstheorien. Dabei untersuchen wir, welche Unterstützung traditionelle oder integrative Behandlungskonzepte anbieten können.
Beiträge auf Fachtagungen
- Conference First-Person Science of Consciousness - Theorems Methods Applications: Poster presentation: How to use first person perspective to transform suffering from autoimmune diseases, May 2019 Witten.
- Symposium auf der Herbsttagung der Deutschen Gesellschaft für Diabetes, November 2022: Forschung aus Betroffenenperspektive
Publikationen zu First Person Perspective
- Berger B: Berger B: Krankheit als Konstruktion - Diabetes mellitus im Vergleich von Schulmedizin und Homöopathie. 01/2003; KVC- Verlag.
- Berger B: „Kann ein Mensch mit Diabetes Mellitus wirklich sein eigener Arzt sein?“, Vortrag Konferenz der Deutschen Diabetesgesellschaft Berlin, 2013.
- Berger B, Michaelis R, Matthiessen PF, Martin D. Transforming stress-induced traumatic reaction patterns in persons with Type 1 Diabetes through introspection. An example of patient led research. Research in Steiner Education. 2019;Vol 10.
- Berger B: Möglichkeiten und Gefährdung der Individualitätsentwicklung im Kontext medizinischer Betreuung am Beispiel des insulinpflichtigen Diabetes mellitus, Typ 1. Die menschliche Individualität - verloren und neu gesucht, Wittener Kolloquium Humanismus, Medizin und Philosophie 978-3- 8260-5508-9 Hrsg. Johannes Weinzirl, Peter Heusser, 07/2015: 139-158; Königshausen und Neumann, Würzburg.
- Berger B: Expertokratie oder Demokratie? Bedeutung der Patientenbeteiligung für die Entstehung wissenschaftlicher Tatsachen in der Medizin am Beispiel der evidenzbasierten Diabetologie. Von der wissenschaftlichen Tatsache zur Wissensproduktion - Ludwik Fleck und seine Bedeutung für die Wissenschaft und Praxis, 01/2007: pages 191-211; Peter Lang.
- Berger B: „Ekspertokratsja czy democracja? Udzial pajenta w tworzeniu faktow naukowych w medicinie na prezykladzie diabteologii opartej na faktach.“ In: Cholui, B, Joerden JC (Hrsg.): Od Faktu naukowego do Produkcji Wiedzy. Ludwik Fleck i jego znaczenie dla nauki i praktyki badawcuej. Warszawa 2013. Übersetzung des Originalbeitrages in: Von der wissenschaftlichen Tatsache zur Wissenschaftsproduktion. Ludwik Fleck und seine Bedeutung für Wissenschaft und Praxis, Peter Lang Verlag des Wissenschaften, 2007.
- Berger B, Mühlhauser I, Heesen C, Walach H, Bischof M, Scheibler F, Groth S, Vielhaber B, Koppe A, Drees S, Howorka K, Paul A, Loesch W, Schmacke N: Berger B (Hrsg.): Raum für Eigensinn - Ergebnis eines Expertentreffens zur Patientenkompetenz. CAM Expertise edited by Berger B, 01/2011; KVC-Verlag Essen., ISBN: 978-3-86864-006-9, DOI:10.13140/2.1.4506.7041
Kontakt
Dr. phil.
Bettina Berger
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Fakultät für Gesundheit (Department für Humanmedizin) | Lehrstuhl für Medizintheorie, Integrative und Anthroposophische Medizin
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