GESCO
Projektübersicht
Gefördert durch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG)
In dem Projekt wird die Entwicklung und Pilotierung eines geschlechtssensiblen Versorgungskonzeptes von Patient:innen mit chronischen nicht-tumorbedingten Schmerzen unter Opiat-Langzeittherapie erforscht.
Es handelt es sich um ein Verbundprojekt mit der MHH Hannover, das für den Zeitraum 01.04.2022 bis 31.03.2025 durch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) gefördert wird.
Ansprechpartnerin: Alexandra Schmidt (02302 / 926 7373)
Unser Ziel
Worum geht es?
Das Projektziel ist die Entwicklung und Austestung eines neuen gesundheitsfördernden geschlechtssensiblen Versorgungskonzeptes zur Verbesserung der Versorgung von Patient:innen mit chronischen Schmerzen unter Opioid-Langzeittherapie in der Hausarztpraxis, ohne eine Krebserkrankung. Dieses Ziel wollen wir gemeinsam mit Patient:innen, Hausärzt:innen und anderen Forschenden aus angrenzenden Themenfeldern erreichen.
Deutschland gehört weltweit zu den Ländern mit dem höchsten Pro-Kopf-Verbrauch von Opioiden (sehr starken Schmerzmitteln) bei Patient:innen mit chronischen, nicht-tumorbedingten Schmerzen. Auswertungen von Krankenkassendaten zeigen, dass bei diesen Patient:innen insbesondere dann eine Fehlversorgung besteht, wenn sie neben den Schmerzen noch weitere, vor allem psychische Erkrankungen, haben. Die aktuelle Leitlinie zur Behandlung von Schmerzpatient:innen mit Opioiden empfiehlt, dass Ärzt:innen den Einsatz von Opioiden bei Patient:innen kritisch prüfen und Alternativen besser nutzen.
Dabei sind bei der Behandlung von Schmerzpatient:innen auch mögliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen zu beachten. Dazu gehört zum Beispiel, wie Medikamente im Körper verarbeitet werden, wie Schmerzen wahrgenommen werden, oder auch wie mit Schmerz umgegangen wird. Neben dem Geschlecht wird dies möglicherweise auch durch andere persönliche Umstände (z.B. kultureller Hintergrund, familiäre Verhältnisse) beeinflusst. Um eine Fehlversorgung mit Opioiden zu verringern, besteht daher die Notwendigkeit, Konzepte zur Behandlung zu entwickeln, die das Geschlecht berücksichtigen und sich für verschiedene Patient:innen und ihre individuellen Bedürfnisse anpassen lassen. Die Entwicklung und Austestung eines solchen Konzepts ist das Ziel des Projektes GESCO.
Mit welchem Verständnis von Geschlecht gehen wir als Forschungsgruppe an das Thema heran?
Wir als Projektteam orientieren uns an wissenschaftlich publizierten Definitionen, wie den Guidelines der europäischen Kommission oder SAGER (1-5).
Im Englischen werden zwei verschiedene Begriffe für Geschlecht verwendet: sex und gender. Diese werden im Deutschen mit biologischem und sozialem Geschlecht übersetzt.
Das biologische Geschlecht (sex) wird generell durch biologische Marker wie primäre und sekundäre Geschlechtsorgane, Chromosomen und Hormonkonzentrationen operationalisiert (2,3). Das biologische Geschlecht wird in der Regel als weiblich, männlich oder intersexuell kategorisiert. Gleichzeitig kann von einem Kontinuum bei der Art und Weise, wie die biologischen Merkmale zum Ausdruck kommen, ausgegangen werden (1).
Das soziale Geschlecht (gender) bezieht sich auf die sozial konstruierten Geschlechterrollen, Geschlechteridentitäten und Beziehungen von Menschen. In der Realität gibt es ein Spektrum von Geschlechtsidentitäten, mit denen Menschen sich selbst identifizieren und ausdrücken (1). Gender ist multidimensional und komplex und verändert sich mit dem Wandel der gesellschaftlichen Normen und Werte (4). Das soziale Geschlecht überschneidet sich auch mit anderen soziokulturellen Kategorien (zum Beispiel sozioökonomische Position) (3).
Quellen:
- Heidari, Shirin; Babor, Thomas F.; Castro, Paola de; Tort, Sera; Curno, Mirjam (2016): Sex and Gender Equity in Research: rationale for the SAGER guidelines and recommended use. In: Research integrity and peer review 1, S. 2. DOI: 10.1186/s41073-016-0007-6.
- European Commission. Directorate General for Research and Innovation. In Horizon Europe Guidance on Gender Equality Plans; Publications Office: Luxembourg, 2021.
- Horstmann, Sophie; Schmechel, Corinna; Palm, Kerstin; Oertelt-Prigione, Sabine; Bolte, Gabriele (2022): The Operationalisation of Sex and Gender in Quantitative Health-Related Research: A Scoping Review. In: International journal of environmental research and public health 19 (12). DOI: 10.3390/ijerph19127493.
- Nielsen, Mathias W.; Stefanick, Marcia L.; Peragine, Diana; Neilands, Torsten B.; Ioannidis, John P. A.; Pilote, Louise et al. (2021): Gender-related variables for health research. In: Biology of sex differences 12 (1), S. 23. DOI: 10.1186/s13293-021-00366-3.
- Kindler-Röhrborn, Andrea; Pfleiderer, Bettina (2012): Gendermedizin – Modewort oder Notwendigkeit? – Die Rolle des Geschlechts in der Medizin. In: XX 1 (03), S. 146–152. DOI: 10.1055/s-0032-1316277.
Was verstehen wir unter einer geschlechtssensiblen Intervention?
Studien haben gezeigt, dass das biologische Geschlecht (sex) und soziale Geschlecht (gender) Einfluss auf Gesundheit und Krankheit haben.
Dieser Einfluss äußert sich unter anderem in Disposition, Häufigkeit der Erkrankung, Bewältigungsstrategien und Therapieverlauf. Dabei kann das biologische und soziale Geschlecht der Patient*innen auf der einen Seite als auch das des medizinischen Fachpersonals auf der anderen Seite Einfluss auf den Versorgungsprozess nehmen (1). Daher ist die Berücksichtigung von Geschlecht für die medizinische Versorgung relevant, um eine adäquate Behandlung zu gewährleisten.
Unter einer geschlechtssensiblen Intervention verstehen wir die Berücksichtigung der biologischen und sozialen Geschlechtsaspekte im therapeutischen Prozess.
Quellen:
- Kindler-Röhrborn, Andrea; Pfleiderer, Bettina (2012): Gendermedizin – Modewort oder Notwendigkeit? – Die Rolle des Geschlechts in der Medizin. In: XX 1 (03), S. 146–152. DOI: 10.1055/s-0032-1316277.
Projektbeschreibung
GESCO ist Teil von Geschlechtsspezifische Besonderheiten in der Gesundheitsversorgung, Prävention und Gesundheitsförderung, einem Förderschwerpunkt des Bundesministeriums für Gesundheit.
GESCO steht dabei für die Entwicklung und Pilotierung eines geschlechtssensiblen Versorgungskonzeptes von Patient:innen mit chronischen nicht-tumorbedingten Schmerzen unter Opiat-Langzeittherapie. Um dieses Ziel zu erreichen, setzt sich das Projekt aus vier Phasen zusammen:
1) Recherche & Analyse der aktuellen Studienlage, besonders im Hinblick auf verschiedene Geschlechter.
Geschlechteraspekte haben unter Anderem Einfluss auf das Schmerzempfinden, den Umgang mit Schmerzen und auch die Schilderung von Schmerzen.
Ebenfalls spielt das Geschlecht der behandelnden Hausärzt:innen und das der versorgten Patient:innen eine Rolle bei der Kommunikation und damit auch bei der medizinischen Behandlung.
Um relevante aktuelle Forschungsergebnisse für das Projekt GESCO und die Entwicklung des Versorgungskonzeptes (Intervention) aufzuarbeiten, wird in der 1. Projektphase eine systematische Literaturrecherche durchgeführt.
2) Entwicklung des Versorgungskonzeptes (Intervention) gemeinsam mit Hausärzt:innen, Patient:innen und anderen Expert:innen.
Zur Entwicklung des geschlechtssensiblen Versorgungskonzeptes werden unterschiedliche Methoden innerhalb der 2. Projektphase eingesetzt:
- Expert:innen-Workshops mit Forschenden und Lehrenden aus für das Projekt relevanten Forschungsbereichen (u.a. systemische Familientherapie und gesundheitsorientierten Gesprächsführung)
- Interviews mit selbst betroffenen Schmerzpatient:innen
- Fokusgruppen mit Hausärzt:innen, die Erfahrung mit der Versorgung von Patient:innen mit chronischen nicht-tumorbedingten Schmerzen haben
- Entwicklung und Erprobung des Versorgungskonzeptes (Intervention) mit Hausärzt:innen
3) Austestung des Versorgungskonzeptes (Intervention) in 10 Hausarztpraxen mit jeweils mindestens 4 Patient:innen (sogenannte Pilotstudie).
Im Zuge der Austestung des Behandlungskonzeptes erhalten 10 Hausärzt:Innen aus verschiedenen Hausarztpraxen jeweils zwei halbtägige Fortbildungen. Es ist vorgesehen, dass die Hausärzt:innen mit den 4 von ihnen in den Praxen rekrutierten Patient:innen jeweils zwei Interventionsgespräche zu Beginn und nach 6-8 Wochen führen.
Die Rekrutierung der Hausärzt:innen und Patient:innen erfolgt unter Berücksichtigung einer ausgewogenen Verteilung nach Geschlecht und Region der Praxis (städtisch/ländlich). Die Austestung des Behandlungskonzeptes erfolgt in einer Zielgruppe aus erwachsenen Patient:innen (≥18 Jahre) mit chronischen nicht-tumorbedingten Schmerzen, die seit mindesten drei Monaten Opioid-haltige Schmerzmittel erhalten.
Um den Effekt des neuen Behandlungskonzeptes zu messen, wird unter anderem die schmerzassoziierte Beeinträchtigung im Alltag, welche pro Patient:in anhand des Pain Disability Index (PDI) vor und nach Intervention bemessen wird, genutzt. Nach Abschluss der Austestung der Intervention mit den Patient:innen werden alle teilnehmenden Hausärzt:innen in einem Telefoninterview zur Umsetzbarkeit befragt. Außerdem werden die Hausärzt:innen zu einer gemeinsamen Fokusgruppendiskussion zur vertiefender Analyse der Erfahrungen und möglichen Anpassungsbedarfen eingeladen. Die Patient:innen werden telefonisch kontaktiert und gebeten über ihre Erfahrungen mit dem Behandlungskonzept, sowie möglichen Anpassungsbedarfen zu berichten.
4) Zusammenführung aller Ergebnisse und Verbreitung auf verschiedenen Kanälen mithilfe aller am Projekt Beteiligten.
Ziel ist es, einen Versorgungskonzept zu entwickeln, das praktisch nutzbar ist und den Bedarfen der Patient:innen und Hausärzt:innen entspricht.
Alle im Projekt erarbeiteten Ergebnisse sollten unter Beteiligung aller Projektpartner und aller beteiligten Hausärzt:innen und Patient:innen aufbereitet und kommuniziert werden. Die Ergebnisse sollen außerdem für andere Behandlungsfelder nutzbar sein.
Partizipation - gemeinsam forschen
Es ist geplant, die Perspektive von Patient:innen, Hausärzt:innen und anderen Forschende in jeder Projektphase einzubeziehen. Hierfür werden Strategien zur Beteiligung entworfen, diskutiert und deren Praktikabilität evaluiert. Die Beteiligung soll die Bedarfsgerechtigkeit und Praxistauglichkeit des neuen Versorgungskonzeptes sicherstellen.
Das Partizipationskonzept selbst wird unter Berücksichtigung der Wünsche und Bedürfnisse der am Projekt beteiligten Patient:innen, Hausärzt:innen, anderen Forschenden und im Projekt tätigen Forschenden geplant und umgesetzt. Dazu wurde ein gemeinsamer Workshop zur Partizipationsplanung durchgeführt.