WittenLab. Zukunftslabor Studium fundamentale 

Arbeitsbereich Transformation

Erforschung von kollektiver Traumaintegration

Anlässlich des 75. Jahrestages der Befreiung des deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz am 27. Januar 2020 stellte die Holocaust-Überlebende Batsheva Dagan in ihrer Rede eine interessante Frage: "Wo waren alle? Wo war die Welt, die das sehen und hören konnte, und doch nichts tat, um all diese Tausende zu retten?" (Morris, 2020).

Diese Frage von ihr war ein starkes Warnsignal für die Menschheit im 21. Jahrhundert, wo wir ständig mit schrecklichen Krisen konfrontiert sind, wie dem Klimawandel, der Flüchtlingskrise, dem politischen Rechtsruck, den Atomwaffen, der weltweiten Armut, der Covid-19-Pandemie usw. In dieser Zeit der globalen Krise sollten Fragen wie die von Frau Dagan immer wieder gestellt werden: "Wo seid ihr? Wo ist die Welt, die weiß, aber nichts tut?" Sind wir Zeugen der Welt? 

Wenn wir das Leid der Menschen in den Nachrichten sehen - Kinder, die in Ländern Afrikas hungern, oder eine trauernde Mutter, die ihr lebloses Kind in Syrien in den Armen hält -, empfinden viele Menschen Mitgefühl und Mitleid. Solche Tragödien kommen in unserer heutigen Welt häufig vor, aber der Eindruck, den sie hinterlassen, ist nicht von Dauer, denn die überwältigende Flut solcher Nachrichten hat viele Menschen gegenüber dem Schmerz und dem Leiden in der Welt desensibilisiert. Diese Art von passiver Alltagshaltung ist tief in einem individualistischen Dualismus verwurzelt: Ich (Subjekt) und die Welt (Objekt) sind getrennt. Durch globale Themen wie den Klimawandel und die Flüchtlingskrise haben jedoch viele Menschen begonnen, zu erkennen, dass wir tatsächlich miteinander verbunden sind. So können wir das Leiden anderer Menschen mit der Überzeugung bezeugen, dass wir nicht von ihnen getrennt sind. Stattdessen sind "wir" und "sie" Teil eines größeren Systems. Diese Art der kognitiven und emotionalen Beobachtung kann als Empathie bezeichnet werden, die in den vergangenen Jahren in der Psychologie und den Neurowissenschaften intensiv untersucht wurde (vgl. Bateson, 1991, 2009). 

Es bleibt jedoch eine kritische Frage offen: Ist Empathie genug? Wir und die Welt sind miteinander verbunden, aber in der "gelebten Welt" (Nishida, 1911) sind wir noch fragmentiert und erleben unsere Verbindung nicht als solche. Ich sehe mich vielleicht als separates, geschlossenes System und kann kein größeres transzendentes System erkennen, in dem "ich" (Subjekt) und die Welt (Objekt) miteinander verbunden sind, denn "die Geschichte wiederholt sich und wir können nichts dagegen tun" (Trilling, 2018). Wenn jemand aus der westlichen Gesellschaft in den Nachrichten ein weinendes Kind in Syrien sieht, kann er Empathie und Mitgefühl mit diesem Kind empfinden. Gleichzeitig kann man sich hilflos und ohnmächtig fühlen, ein Gefühl der Verzweiflung empfinden und ein peripheres Gefühl der Verbundenheit mit der Welt haben. 

Wie kann man tatsächlich geistig, emotional und körperlich mit allen Menschen und Lebewesen präsent sein, die intensive und tiefe Momente des Kampfes, des Zweifels und des Leidens erleben? Die obige Frage "Sind wir Zeugen der Welt?" ist daher nicht leicht zu beantworten. Diese Forschungsgruppe möchte genauer erforschen, was Zeugenschaft ist, und die Kompetenz zur Zeugenschaft für die kollektive Traumaintegration entwickeln.

Verantwortliche:r für den Arbeitsbereich

Prof. Dr.

Kazuma Matoba

apl.-Professor

WittenLab. Zukunftslabor Studium fundamentale  |  Arbeitsbereich Transformation

apl.-Professor

Fakultät für Wirtschaft und Gesellschaft (Department für Philosophie, Politik und Ökonomik)  |  Lehrstuhl für Praktische Philosophie

Alfred-Herrhausen-Straße 50
58455 Witten

Forschung

Viele soziale und globale Probleme wie die Flüchtlingskrise, Klimagerechtigkeit, Rassismus und Terrorismus haben ihre Wurzeln in schwerwiegenden, unbehandelten historischen Traumata. Diese Traumata wurden von einem oder mehreren Mitgliedern einer Familie, Gruppe oder Gemeinschaft erlebt und können durch epigenetische Faktoren von einer Generation an die nächste weitergegeben worden sein. 

Phänomene kollektiver Traumata lassen sich durch ihre Interpretation durch die Quantensozialwissenschaft verständlicher beschreiben (vgl. Wendt, 2016; Matoba, 2022). Diese Interpretation liefert eine soziale Pathologie, die methodische Empfehlungen (Behandlungsmethoden) für die Sozialtherapie bietet. 

Ein mögliches Beispiel ist der von Thomas Hübl (2020) entwickelte kollektive Trauma-Integrationsprozess (CTIP), eine Methode zur Wiederherstellung der Fragmentierung durch die Bearbeitung und Integration von individuellen, überlieferten und kollektiven Traumata. Diese Forschungseinheit konzentriert sich auf eine methodische Überlegung zum Aufbau einer neuen Kultur durch die Integration von kollektiven und intergenerationellen Traumata, die auf der kollektiven Traumaforschung in der Psychologie, Soziologie und Quanten-Sozialwissenschaft basiert.

Aktuelle Forschungs­projekte

Publikationen

Lehre

In verschiedenen Seminaren und Workshops in der Fakultät für Wirtschaft und Gesellschaft und im WittenLab Studium fundamentale können Student:innen neue Ideen, Strategien und Werkzeuge austauschen und mitgestalten, die ihnen helfen, in einer Zeit weltweiter Umbrüche und Transformation reife, globale Bürger:innen zu werden.

Das Team des Arbeitsbereichs Transformation

Adrian Wagner (Doktorand, Deutschland)
Forschungsschwerpunkt: Kollektive Trauma-Integration und die große Transformation zur Nachhaltigkeit: Eine Fallstudie über die Praxis des bewussten sozialen Bezeugens des Pocket-Projekts.

Christopher Then (Projektkoordinator, Deutschland)
Forschungsschwerpunkt: Die Rolle von Spiritualität im Aktivismus, Zeugenschaft und soziale Bewegungen, Sacred Activism.

Wouter Extercatte (Doktorand, Niederlande)
Forschungsschwerpunkt: Ethik, Aktion, Dialog: eine theoretische Erforschung im Sinne einer Bottom-up-Neugestaltung der Gesellschaft.